Das Eisbergmodell kann natürlich auch auf unser Gegenüber angewendet werden, zum Beispiel auf die Familie oder Eltern, die wir beraten.
Nehmen wir an, wir beraten eine Familie zu Hause in ihrem Wohnzimmer. Der Fernseher läuft, die Kinder spielen um uns herum. Womöglich werden wir ärgerlich. Wir hätten gerne mehr Privatsphäre und Ruhe, um uns zu konzentrieren. Kein Wunder, dass der Junge nicht lernt, wenn immer der Fernseher läuft. Hier schlägt unser hoher Wert von Individualität, Privatsphäre und Ordnung durch. Die Familie hingegen hat eventuell andere Werte: Zusammengehörigkeit, Respekt vor dem Berater, alle sind gemeinsam beisammen.
Oder wie gehe ich mit meiner italienischen Freundin um, die immer zu spät kommt. Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit ist für mich ein hoher Wert!
Erinnern wir uns an Luca, den vierzehnjährigen Sohn der Familie Nowak: Was für ein Verhalten zeigt der Jugendliche? Er duckt sich weg und zieht den Kopf ein. Wenn die Eltern, der Lehrer, wir nur auf sein Verhalten schauen, sehen wir nicht die eigentliche Person oder die Bedürfnisse, die hinter seinem Verhalten stehen.
Was könnten die Gründe für Lucas Verhalten sein? Welche Bedürfnisse wurden vielleicht verletzt? Welche Werte? Im Kurs haben wir uns ausführlich zu den Gründen ausgetauscht. Eure Ideen waren:
- Er wird nicht geachtet, respektiert.
- Schutz vor weiterem Druck, weil er keinen anderen Ausweg sieht.
- Zeit verschaffen, bis sich die Situation von alleine löst.
- Abwehr von Frust oder Minderwertigkeitsgefühlen.
- Autonomie/Selbstbestimmung: möchte eigenständig über sich bestimmen
Die Eltern erwarten Disziplin, Lern- und Leistungsbereitschaft und machen Luca deswegen Druck. Lucas Grundbedürfnis nach Autonomie und Selbstausdruck steht dem entgegen. Für Luca macht sein Verhalten Sinn! Er verteidigt seine Bedürfnisse und Werte, ohne dass er das zum Ausdruck bringen kann! Mit dieser Analyse haben wir das Verhalten und die Bedürfnissen von Luca getrennt betrachtet.
Versucht euch immer wieder daran zu erinnern: Menschen handeln nicht gegen Menschen, sondern für ihre Bedürfnisse! In der Zusammenarbeit mit Eltern müssen wir immer wieder die Perspektive wechseln. Wir fällen keine schnellen Urteile oder bewerten die Situation. Das könnte bedeuten, dass wir den Kontakt zur Familie verlieren.
Positive Grundannahmen
Wir gehen mit einer positiven Sicht in die Gespräche. Wir gehen davon aus, dass Familien gute Absichten und auch gute Gründe haben. Aber wie gelingt uns das in der Kommunikation und im Gespräch? Therese Steiner ist eine systemische Familientherapeutin, die mit Familien, vor allem mit Kindern und Jugendlichen arbeitet. Sie hat Grundannahmen aufgestellt die uns in der Familienbegleitung helfen.
Grundannahmen Eltern
Bis das Gegenteil bewiesen ist, gehen wir davon aus, dass die Eltern…
- Stolz auf ihr Kind sein wollen.
- Einen guten Einfluss auf ihr Kind haben wollen.
- Positive Dinge über ihr Kind hören wollen und wissen möchten, was ihr Kind gut kann.
- Ihrem Kind eine gute Ausbildung und Erfolgschancen geben wollen.
- Sehen wollen, dass die Zukunft des Kindes gleich gut oder besser ist, als die Ihrige war.
- Eine gute Beziehung zu ihrem Kind haben wollen.
Grundannahmen Kinder
Bis das Gegenteil bewiesen ist, gehen wir davon aus, dass die Kinder…
- Wollen, dass die Eltern stolz auf sie sind.
- Ihre Eltern und andere Erwachsene erfreuen wollen.
- Akzeptiert und ein Teil des sozialen Kontextes sein wollen, in dem sie leben.
- Neue Dinge lernen wollen.
- Überrascht werden und andere überraschen wollen.
- Aktiv sein und an den Aktivitäten anderer teilhaben wollen.
- Ihre Meinungen und Entscheidungen artikulieren wollen.
- Eine Wahl treffen wollen, wenn sie die Gelegenheit dazu haben.
Bildquellen
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