Fallbeispiel Auftrag klären
Im Kurs haben wir uns eine Situation mit Familie Nowak angeschaut:
- Luca Nowak, 14 Jahre alt, besucht die Hauptschule, die Mutter oder die Lehrerin wendet sich an euch weil er seit einigen Monaten die Leistungsanforderungen der 8. Klasse nicht mehr schafft.
- Lucas Mutter beklagt, dass Luca seinen Alltag nach seinen Videospielen organisiert. Außerdem vernachlässige er seine Freunde und gehe kaum noch raus. Selbst zum Essen findet er manchmal keine Zeit. Sie befürchtet, dass er auch unregelmäßig und unpünktlich zur Schule gehe. Das weiß sie aber nicht genau, weil sie den Kontakt zur Schule eher meidet.
- Die Lehrerin beklagt, dass Luca unaufmerksam und schlecht gelaunt ist und es nicht schafft für seine Arbeiten zu lernen. Er nimmt sehr unregelmäßig am Unterricht teil, wirkt abwesend und zeigt einen deutlichen Leistungsabfall. An die Eltern komme sie nur sehr schwer heran, weil diese kaum Deutsch sprechen.
- Familienbegleitung: Ihr habt im Rahmen eurer Tätigkeit (Elternbegleitung, Elterncafé, Dolmetscher) Kontakt zu Familie Nowak und/oder der Lehrerin.
Welche Aufgabe die Mutter oder Lehrerin bei euch sieht, hängt davon ab, in welcher Rolle sie euch sieht.
- Zuhörer: Möchte die Mutter oder die Lehrerin nur ein offenes Ohr, um sich auszusprechen?
- Vermittler: Geht es um die Herstellung des Kontaktes zur Schule bzw. der Familie?
- Akteur: Was sollt ihr tun? Die Eltern oder Lehrerin aufsuchen und Informationen einholen?
- Pädagogische Fachkraft: Fragt euch die Mutter, wie sie mit dem Sohn reden kann, Zugang zu ihm finden kann?
- Experte: Geht es um das Thema Medienkonsum und wie der Umgang damit sein könnte? Oder eventuell um das Thema „Interkulturalität“?
- Unterstützer: Sollt ihr eventuell anstelle von der Mutter oder der Lehrerin mit dem Sohn reden? (als mögliche Vertrauensperson, als verlängerter Arm in Erziehungsfunktion…)
Klärung des Auftrages
Da es viele unterschiedliche Erwartungen in dieser Situation geben kann, ist es wichtig, dass ihr den Auftrag mit den Beteiligten klärt. Sprecht das möglichst früh ab. Braucht die Mutter euch im Gespräch zum Beispiel als Dolmetscher oder als Rückendeckung. Braucht die Lehrerin euch vielleicht als “Kulturvermittler“, um Konzepte, wie Logopädie, „schulischen Teilleistungsschwächen“ oder ähnliches zu erklären?
Vorsicht vor verdeckten Aufträgen
Wenn sich die Mutter insgeheim erhofft, dass ihr das Gespräch führt und sie sich hinter euch verstecken kann. Oder die Lehrerin erhofft sich insgeheim, dass ihr der Mutter erklärt, dass Luca mehr Sprachunterricht oder Logopädie braucht und ihr das in die Hand nehmt und mit ihr zum Arzt geht.
Ist es ein Auftrag den ihr annehmen könnt?
Anstelle der Mutter etwas zu tun (zum Beispiel zum Arzt gehen) oder die Mutter zu motivieren etwas zu tun, liegt nicht in eurem Auftrag. Auch nicht, das Gespräch anstelle der Mutter zu führen etc. Ihr trefft am Ende eine klare Aussage darüber, was ihr tun könnt und was nicht und zwar gegenüber der Mutter, als auch gegenüber der Leherin.
5 Methoden zur Auftragsklärung
Methode 1: „Was genau?“
Wichtig für fast alle Gespräche ist der Grundsatz „Wer fragt, führt.“ Lasst euch die Führung des Gesprächs nicht aus der Hand nehmen. Wer fragt, gibt den Kurs vor und die Rückfrage „Was genau?“ verschafft euch Kenntnis, Informationen aber auch Zeit zum Nachdenken!
Eltern beschreiben Probleme oft wenig konkret, oft entsteht ein „Nebel“, der Eindruck, dass alles nicht funktioniert. Mit der Frage kommt ihr in Beratungsgesprächen damit auf den Punkt oder in die Tiefe.
Methode 2: Aktives Zuhören und gezielt nachfragen
Das verschafft euch Zeit zum Nachdenken, wenn das Gespräch nicht konkret ist oder wenn zu viele Emotionen auftreten (zum Beispiel bei Beschwerden oder im Streit). Irgendwo könnt ihr immer einhaken.
- Was genau ist Ihnen daran so wichtig?
- Was genau gefällt Ihnen nicht?
- Was genau stört Sie?
- Was genau geht nicht?
- Was befürchten Sie, passiert dann?
- Was können wir/Sie/ich verändern, dass…?
- Was können wir jetzt tun/verändern, dass es besser wird?
- Inwiefern?
- Sondern?
- Konkrete Rückfragen stellen. Also konkretisieren von Aufträgen, aber auch Beschwerden o.ä. ist wichtig, präzisieren….
Methode 3: Skalierung 0-10
Lasst eure Gesprächspartner eine Sache von 0-10 bewerten (0: ganz schlecht, 10: ganz gut). Damit macht ihr ein Verhalten oder etwas Erlebtes greifbar und es wird genauer beschrieben. So werden Unterschiede deutlicher („Letzte Woche war es eine 2, diese Woche eine 4) und Erfolg sichtbar.
Beispiel: Eine neu zugewanderte Mutter kommt zu euch und sagt, dass ihre Tochter kaum Deutsch spricht. Das macht ihr große Sorgen. Ihr habt nach Ausnahmen und Ressourcen gefragt und kommt an den Punkt, wo ihr wissen möchtet, wie groß ihre Sorgen sind.
„Ich habe jetzt viel gehört und brauche für mich eine Einschätzung, wie ist das denn genau für Sie? Stellen Sie sich eine Skala vor von 0 bis 10. 0 bedeutet: sie spricht gar nicht. 10 bedeutet sie spricht ohne Fehler. Wo würden Sie ihre Tochter einschätzen?“
- Es gibt immer eine Einschätzung. Falls es dem Gesprächspartner schwerfällt: „Es gibt kein richtig oder falsch. Es ist eine gefühlsmäßige Einschätzung, wie Sie die Lage beurteilen.“
- Es geht um den nächsten Schritt Richtung Entwicklung oder Lösung. Also überlegt ihr zusammen, was wäre der nächste Schritt, was wäre eine „7“, wie könnte man die 7 erreichen? Was /wen braucht man dazu?
- Man kann auch die Ressourcen wertschätzen, es gibt schon einiges, das die Tochter gelernt hat! Selbst wenn die Mutter „1“ geantwortet hätte, ist etwas da!
- Man könnte auch fragen Wie haben Sie das geschafft, die 7? Damit öffnet man den Blick auf Ressourcen.
Methode 4: „Was stattdessen?“
Im Gespräch ist die Versuchung manchmal groß, dem Gesprächspartner zu helfen, schwierige Frage nach seinen Zielen zu beantworten und Ziele für ihn vorzugeben. Der Gesprächspartner muss den Weg aber selbst gehen. Falls er etwas äußert, was er nicht mehr möchte, könnt ihr ihn unterstützen, indem ihr ihn fragt „Was wollen Sie stattdessen?“ Die Mühe des Klienten lohnt sich.
Beispiel: Stellt euch vor, ihr sitzt in einem Reisebüro und ein Kunde kommt zu euch und will einen Urlaub buchen. Er will aber nicht mehr „in dieses deprimierende Glasgow“ reisen. Falls ihr für den Kunden einfach ein Ziel buchen würdet, wäre er damit vermutlich nicht zufrieden. Ihr fragt also, „wohin soll es STATTDESSEN gehen?“
Methode 5: Konstruktive W-Fragen
„was“ „wann“ „woran“ „welche“ „wer“ „wie“ „woran“ „wodurch“
Diese Fragen können euch in einem Gespräch weiter in die Tiefe führen.
- Sie sind konstruktiv, aufbauend und helfen zu sagen, was die Aufgabe ist. Zum Beispiel „Welche Ideen haben Sie, die Sie Ihrem Ziel näher bringen können?“ „Welche Fähigkeiten besitzt Ihr Kind in diesem Gebiet?“
- Es gibt „geschlossene Fragen“, auf die man mit JA oder NEIN antworten kann und offene Fragen. Was wird wohl die Antwort auf die Frage: „Haben Sie Ideen, wie Sie Ihr Problem lösen können?“ sein? Wenn der Gegenüber mit einem JA antwortet, ist es einfach. Bei einem NEIN hingegen wird es schwer für euch. Wenn ihr eure Frage als offene Frage stellt oder die W-Fragen nutzt, werdet ihr zu einem hilfreicheren Ergebnis kommen.
- „Was wollen Sie im Gespräch mit der Lehrerin erreichen?“
- „Welche Ideen haben Sie, die Sie dem Ziel…näher bringen können. Welche Fähigkeiten besitzt ihr Kind in diesem Gebiet?“
- „Wie könnten diese Fähigkeiten sich im Bezug auf das Ziel einsetzen lassen?“
- „Wann tritt das problematische Verhalten nicht auf?“
- „Was haben Sie bisher gefunden, was hat bisher gewirkt?
Bildquellen
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