Was ist systemisches Denken und Handeln?

Systemisches Denken und Handeln betrachtet Beziehungen und deren Wechselwirkungen. Die Grundhaltung ist wertschätzend und an Ressourcen und Lösungen orientiert.

Beispiel: Familie Nowak

Wir stellen euch Familie Nowak vor. Sie begleitet uns durch das Seminar: 

Familie mit zwei Kindern

Vater, Mutter, zwei Kinder. Beide Eltern sind berufstätig. Die jüngste Tochter Daria ist drei Jahre alt und geht in die Kita. Der vierzehnjährige Sohn Luca ist im Fernunterricht. Wir werden Familie Nowak im Kurs immer wieder begegnen und sie beratend begleiten.  

Stellen wir uns vor, Luca, der vierzehnjährige Sohn, ist aktuell im Fernunterricht. Das klappt nicht gut. Er zieht sich zurück in sein Zimmer. Die Eltern bekommen mit, dass er viele im Unterricht fehlt. Seine Leistungen werden schlechter. Die Eltern kommen nicht an ihn heran. Was ist mit Luca los?

Mal angenommen, das Verhalten von Luca ließ sich in einem Bild folgendermaßen darstellen…

Römischer Soldat, der sich ein Schild über den Kopf hält

Er versteckt sich, duckt sich weg, zieht sich zurück, redet mit niemanden… Dieses Verhalten bringt dem Jugendlichen vermutlich Probleme. Die Eltern und Lehrkraft wollen, dass er sich nicht versteckt. Sie versuchen mit ihm zu reden. Das heißt auch, sie versuchen weiter auf ihn einzudringen…

Wir fragen uns, was ist mit ihm los? Vielleicht kommen die Eltern zu euch oder die Lehrkraft fragt um Rat. Was sollen sie tun?

Wenn ihr die Situation aus systemischer Sicht anschaut, schaut ihr nicht nur auf den Jungen, sondern auf die ganze Situation, das ganze System (Familie, Schulsystem etc.) und alle Beteiligten. Ein systemischer Berater fragt an dieser Stelle: In welchem Zusammenhang steht das Verhalten des Jugendlichen mit seiner Umwelt. Welchen Grund kann er haben, das Schild über den Kopf zu halten?

Werfen wir mal einen Blick auf sein System….

Römischer Soldat mit Schild über Kopf in Kampfszene

Da ist ja eine Menge los… Gegen den Jungen kämpfen eine Menge Leute. Das könnten zum Beispiel der Vater, die Mutter, der Lehrer sein. Das Verhalten des Jugendlichen macht nun schon mehr Sinn. Bei einem Angriff ein Schild über den Kopf zu halten, ist sinnvoll. 

Gleichzeitig fragen wir auch nach den guten Gründen der Angreifenden, also vielleicht Eltern und Lehrer. Wir fragen uns, was sie zu ihrem Verhalten antreibt. Auch hier gehen wir davon aus, dass das Verhalten aus ihrer Sicht Sinn macht. Ihre guten Gründe können zum Beispiel sein, dass sie sich um Wohl des Jungen und seine schulischen Leistungen sorgen.

Prinzipien systemischer Beratung

  • Der systemische Ansatz schaut vor allem auf die Zusammenhänge und bezieht unterschiedliche Ebenen ein (Zusammenarbeit Familie, Schulsystem, Kita, Peergruppe etc.)
  • Systemische Beratung fragt nach „guten Gründen“ für ein Verhalten.
  • Einzelne Personen werden nicht isoliert betrachtet. Sie stehen immer im Zusammenhang ihrer Umwelt und ihrem System.
  • Systemische Beratung geht davon aus, dass Menschen verschiedene Bedürfnisse und Perspektiven haben. Menschen können folglich in derselben Situation etwas völlig Unterschiedliches wahrnehmen und deshalb auch unterschiedliche Schlüsse und Entscheidungen ziehen.

Ein nicht-systemischer Blick auf die Situation von Familie Nowak wäre: Die Eltern und Lehrer wollen, dass der Junge sich nicht versteckt, wenn sie mit ihm reden. Sie wollen besser mit ihm klar kommen und seine schulischen Leistungen sollen besser werden. Sie bedrängen ihn weiter. Vielleicht muss er Nachhilfestunden nehmen, über die es aber auch wieder zu Streit kommt. Er duckt sich noch weiter unter seinem Schild weg. Eltern und Lehrer versuchen mehr von den Sachen, die nicht funktionieren. Der Druck steigt und die Konflikte häufen sich. Der Junge fühlt sich immer schlechter, das Problemverhalten verstärkt sich.    

Vom Problem zur Kompetenz

Systemische Beratung geht davon aus, dass der Mensch die Möglichkeiten und Ressourcen für die Lösung seiner Probleme in sich trägt (Ressourcenorientierung). Der Berater hilft, sie zu aktivieren. Er leistet also Hilfe zur Selbsthilfe.

Zirkularität: alles beeinflusst sich

Zirkularität bedeutet: Das Verhalten des Einzelnen beeinflusst andere und andere beeinflussen das Verhalten des Einzelnen. Hier ein einfaches Beispiel: Eine Frau schimpft mit ihrem Mann, dass er zu viel trinkt, und der Mann trinkt, weil seine Frau mit ihm schimpft.

Für ein Problem gibt es also nicht eine bestimmte Ursache. Das Problem entsteht, wenn verschiedene Beteiligte und verschiedene Umstände zusammentreffen. Auch eine Mobile ist ein gutes Bild dafür: jede Bewegung eines Elements hat Auswirkungen auf das ganze System.

Mobile

Bei Familie Nowak bedeutet das, dass ich auch nur mit den Eltern oder der Lehrerin arbeiten kann, falls Luca nicht mit mir sprechen will. Ich kann so genannte „zirkuläre Fragen“ stellen, zum Beispiel an die Mutter: „Was glauben Sie, würde Luca sagen, wenn ich ihn fragen würde, wie es ihm in dieser Situation geht?“

Konstruktivismus: Ich mache mir mein Bild von der Welt

Jeder macht sich sein eigenes Bild von der Wirklichkeit. Das nennt man konstruieren. Ein einfaches Beispiel: Ein Mann geht zum Arzt. Der Arzt sagt „Wenn Sie nicht bald eine Diät anfangen, passen Sie bald nicht mehr durch die Haustür.“ Der Mann kommt nach Hause. Seine Frau fragt ihn, wie es beim Arzt war. „Der Arzt hat gesagt, wir brauchen eine größere Haustür.“ Der Mann konstruiert seine Wirklichkeit so: Nicht er ist zu dick. Die Tür ist zu eng.

Der Konstruktivismus sagt, dass wir nicht über „die Welt“ sprechen können. Wir können nur über die Bilder sprechen, die sich jeder in seinem Kopf über die Welt macht. Jeder Mensch ist deswegen allein Experte seiner Wirklichkeit.

Was heißt das für die Beratung von Familien?

  • Nicht die Methoden oder Technik machen eine gute Beratung aus, sondern die Stärken der Familie und die Beziehung zwischen Familienbegleitung und Familie.
  • Auf die Lösung konzentrieren, nicht auf das Problem. Spricht man zu viel über das Problem, kann es das Problem verschlimmern.
  • Alle Systemmitglieder und ihre Perspektiven betrachten. Warum könnte ein Handeln sinnvoll sein? Wer beeinflusst wen auf welche Art?
  • Die Familien sind die Experten für ihre Lösungen. Sie tragen die Stärken und Kompetenzen für eine Lösung in sich.

Bildquellen
https://pixabay.com/de/illustrations/familie-mutter-vater-kinder-1150995/
www.flickr.com/photos/archeon/2753286301/
https://pixabay.com/vectors/baby-mobile-toy-fish-hanging-575826/